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PRAXIS IM UMBRUCH

Liebe Freunde,
inmitten der Erschütterungen dieser Umbruchs-Zeit (Corona-Pandämie) ist jetzt der Moment, um einige Reflektionen und Wahrnehmungen mit Euch zu teilen, die mir in den letzten Wochen wichtig geworden sind.
Inmitten dieser Krise scheinen mir drei Aspekte besonders wichtig :

Erstens:
Ein zentraler ethisch-kulturell-spiritueller Imperativ oder Fingerzeig scheint mir zu sein, zu fragen, ob wir bereit sind, in einem hoch aufgeladenem und über-erregten kollektivem Klima eine innere Haltung („posture“) einzunehmen, in der wir wach, konsistent und mutig alle auftauchenden Teil-Perspektiven, Blickwinkel und Ansichten von einem größerem, achtsamen Raum aus zu „halten“.
Und dies WIRKLICH zu tun, zu praktizieren, Tag für Tag, von der ersten Morgenstunde bis zum Ende des Tages – also als essenzielle Lebenspraxis.
Zu leicht kippen viele Menschen in den letzten Monaten in trennende Einzel-Sichtweisen, Überzeugungen, Ängste, verhärtete Standpunkte, Schlussfolgerungen und Zukunftsphantasien, die das Gewahrsein des Gemeinsamen , des Nicht-getrennten verlieren.
Hier tun wir gut daran, immer wieder inne zu halten, unsere Anspannungen zu bemerken, liebevoll zu umarmen und dann den inneren Druck: …. loszulassen…..und wahrzunehmen, was ist – jetzt…hier .
Loslassen: das innere „grasping for certainty“, das vermeintliche „Sichere sich Positionieren in Gewissheiten“, da wo wir innerlich ehrlich werden können um zu bemerken, dass wir nicht wissen, soviel Nicht-Wissen unsere Meinungen, unser Sprechen im Brustton der Überzeugung umgibt: Was sein wird, was die Zukunft bringen wird, was gerade das „Richtige“ ist:
Wer weiß das schon, an diesem Punkt dieser riesigen kollektiven Transformation?
Und gerade Menschen mit viel Wissen neigen oft zu einer Deutungshoheit, einer Tendenz zum Missionieren, die sich daran zeigt, die eine richtige einzig taugliche Perspektive mit Druck und Spannung als die Wahrheit an den Mann bringen wollen, die jetzt mit Gewissheit am meisten zählt, und über dem anderen steht.
Nun die Umkehrung: In dieser angesprochenen Haltung einer Weitwinkel-Sicht, einer nicht oder auch a-perspektivischen Sicht (so der Pionier des Integralen, Jean Gebser) , der Schau-Logik (so darauf aufbauend Ken Wilber) eine Einladung auszusprechen, sich jeweils in die „Schuhe des Gegenübers zu stellen“, und mit Respekt , Geduld und der Bereitschaft von „deep listening“ alles zu hören, und auf den dahinterliegenden Raum – auch hinter alle Linsen und inneren Zugriffe zurückzutreten – hin zum größeren Raum dahinter also, der uns offensteht.
Hierin auch als eine tiefe, reife spirituelle Praxis zu verstehen, heißt auch anzuerkennen, dass dies uns existenziell fordert, über den eigenen Schatten zu springen, die eigenen Abwehrreflexe zu erkennen und uns immer wieder dem Nicht-Wissen zu öffnen. Und der Qualitäten, die darin zu finden sind.

Zweitens:
Das Nichtwissen ist auch der Einbruch des Nicht-Erwarteten.
Es beinhaltet auch die Chance, neue Antworten einzuladen, soziale Experimente zu wagen, und die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Damit kann ein „Momentum“ entstehen, das in einem kürzlich erschienenen Radiobeitrag so formuliert wurde:
“Das Unerwartete macht eben diesen Spalt. Und in dem Moment, in dem der Spalt da ist, fällt das Weltbild auseinander.
Der Spalt macht, dass eine andere Variante der Wahrnehmung denkbar wird.“ (Zitiert nach E. Friedmann, in Radio-BR „Corona und der Wandel“ von G.v. Lüpke)
Und mit diesem „Momentum“ einhergehend werden nun individuelle und kollektive Möglichkeitsräume nicht nur denkbar, sondern auch sichtbar und machbar, die sich in neuem Werden und Gestalten des konkreten Lebens herauskristallisieren. Das können z.B. neue Begegnungsräume (auch im digitalem Raum) sein, neue persönliche Fähigkeiten (z.B.. stilles Tanzen in der Natur), oder eigene Beete auf dem Balkon anlegen und mit Nachbarn die Ernte teilen…
Dies könnten wir auch die Erhabenheit und sogar stille Schönheit nennen, dies erfahren zu dürfen, uns so in einem gewaltigem evolutionärem Geschehen erleben zu können – und dies nicht so sehr als Zuschauende, sondern als Mitwirkende.
Anwesend zu sein, mitten drin in einem historisch alles veränderndem Geschehen, eines Prozesses der Mutation des Bewusstseins

Noch einmal: Es bietet sich hier also die Chance, dass ein „crack“ ensteht – ein Spalt, durch den das Licht hereinkommen kann, wie es im Song von Leonard Cohen heißt:

Forget your perfect offering – there is a crack in everything, thats how the light gets in…

Und weitergehend sollten wir uns dann daran gegenseitig daran erinnern:

  • Wir nehmen die Perspektive eines Adlers ein, der von oben das Ganze sieht – mit erweitertem Blick. Es liegt eine soziale Forderung in dieser Krise, aber genauso eine spirituelle. Beide gehen Hand in Hand. Ohne die erste… (soziale Dimension) fallen wir in Fanatismus. Aber ohne die zweite (spirituelle Dimension) fallen wir in Pessimismus und Sinnlosigkeit.
  • Wir sind vorbereitet, um durch diese Krise zu gehen.
  • Es hilft uns überhaupt nicht, traurig und energielos zu sein…
  • It is through Joy that one resists…” (Hopi –Nachricht von White Eagle, März 2020)
  • Diese Haltung braucht unsere Geduld, Übung, Hingabe und Ausrichtung, ohne Perfektionsanspruch.
  • Dafür im Dialog, mit Wertschätzung, Bereitschaft, sich zu sehen, zu hören, im „Wir“ , und für ein „Wir“ präsent zu sein.
  • Mit der Offenheit gemeinsam herauszufinden, ohne „labelling“ (Bewertung, Verurteilung, ohne subtiles Niedermachen )
  • Vielmehr darum: Den Ort zu fühlen, den nur die Liebe füllen kann.
  • Der große, geheimnisvolle Wärmestrom im Puls des Moments.
  • Mit weitem Geist, offenem Herzen und einer bestimmten Intention des Werdens.

Drittens:
Das letztere möchten wir “ Kon-kreativ“ (Konsistent-Kreativ )nennen.
Konsistent meint hier : beständig, stabil, verlässlich, nicht-fragil.

Matthias Horx , der Zukunftsforscher, fordert dazu auf, die Haltung einer optimistischen Re-gnose einer möglichen humanen Zukunft einzunehmen statt die einer düsteren Prog-nose.
Dies weist darauf hin, mich nicht als Opfer oder Täter in einer vorgestellten Zukunft zu sehen, sondern sich konsistent (also dauerhaft) und pro-aktiv eine Zukunft vorzustellen, ja sie mit innerer Vorstellungskraft zu FÜHLEN, die ein Leben voraussieht, dass nicht nur für un , sondern für alles Leben auf unserem Planeten lebenswert, erfüllend, freudvoll und verbindend ist und das schützt, was wir lieben – unsere Erde GAIA mit all ihren Lebewesen, Tieren, Bäumen, Pflanzen, Bächen, Ozeanen. Unser geliebtes Zuhause.

„Ich glaube, dass Zukunft durch Selbstverwandlung von Menschen entsteht“ (M.Horx)


Dies braucht eine gemeinsame essenzielle Lebenspraxis , den resonanten, stetigen, konsistenten und perfektions- und anspruchfreien Dialog unter Gleichen auf Augenhöhe, mit ungeteiltem Herzen – ohne Bewertung, in einem Klima von Neugierde, Präsenz, wohlwollender und wacher Anwesentheit, und auch getränkt mit der Bereitschaft oder Fähigkeit zu Gelassenheit, jenseits von Angst, Panik oder Aktionismus, genauso wie der Energie von feurigem Engagement, für das , was wir schützen wollen – sozial, kulturell, politisch und ökologisch.
Der Bereitschaft, uns fliessend , situativ und offenen Herzens führen zu lassen, von dem, was am weitesten in uns als Quelle hört fühlt und sieht.
Das „Höhere Wir“, das erscheint in uns und zwischen uns, wenn wir in dem EINEN als unsere leuchtende Vielfalt sind.

Wilhelm Blake (1757-1827) ein englischer Poet und rebellischer Mystiker, unterscheidet und benennt in seiner Lyrik vor allem den Zustand der weltgetränkten, weltdurchlebten auch weltbeschädigten Erfahrung als den der sich in „Auguries of experience“ ausdrückt… als ein Lebensgefühl , das sich auch im Verlieren in dem Labyrinth des kollektiven mentalen Gefängnisses zeigt, im sich Verlieren in der Identifikation mit der Form.
Er engagierte sich als Lyriker und Maler sein Leben lang dafür, mit poetischer Leidenschaft, darüber hinauszugehen in einen anderen , erweiterten Bewusstseinsraum und schreibt selbst dazu seine „Auguries of innocence“ (Gesänge der Unschuld)

„Eine Welt zu sehen in einem Sandkorn , und den Himmel in einer Wildblume, halte die Unendlichkeit in deiner Hand , und die Ewigkeit in einer Stunde…“ (Wikipedia)


Es deutet sich darin eine „Return to innocence“ an, die darin besteht, zurückzukehren in die Schönheit des unschuldigen Daseins…(Kindlich, neugierig, nicht kindisch-regressiv)
Wieder unschuldig (innocent) zu werden im Zurückfinden in die Unschuld als neues, unmittelbares Wahrnehmen dessen, was ist, als Nicht-wissen, ohne das Bedürfnis wissen, einordnen, bewerten oder die Erfahrung etikettieren oder verstehen zu müssen. Jenseits von Bewertung oder Rechthabenwollen.
Oder Fixierung auf das bereits Gekannte, die inneren Schubladen, „outside the box“….
Diese Schönheit, die darin liegt, im direkten Wahrnehmen wieder in dem Ungetrennten sich beheimaten zu können, können wir wiederfinden…
Auch als Neugierde, als Mut, wieder zu experimentieren mit dem Neuen, was sich wohl in dem Spalt des Neuen, von dem oben die Rede war, finden lässt.

We are together in this “ .

2 Gedanken zu „PRAXIS IM UMBRUCH“

  1. Ohne die erste… (soziale Dimension) fallen wir in Fanatismus. Aber ohne die zweite (spirituelle Dimension) fallen wir in Pessimismus und Sinnlosigkeit.
    Danke Dir Michael für Deine Mühe, für diese neuen Seiten. Schön und bereichernd die Gedanken zusammengefasst zu lesen.
    Die zwei oben zitierten Sätze von Dir, zeigen einen großen Teil unserer aktuellen Gesellschaftsstruktur. Umso wohltuender den Umkehrschluss evtl. zu erfahren, zumindest den Weg zu beschreiten.

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